back...Wir kennen das Nachkriegsschicksal des Kommandanten des deutschen Nazilagers für polnische Kinder in Litzmannstadt
Die genaue Biografie des Kommandanten des deutschen Nazilagers für polnische Kinder in der Przemysłowa-Straße in Litzmannstadt, SS-Sturmbannführers Friedrich Camillo Ehrlich, wurde von Historikern des Museums der Polnischen Kinder – Opfer des Totalitarismus festgelegt.
Friedrich Camillo Ehrlich – Sohn von Friedrich Moritz und Lina geb. Schaller – wurde am 23. Februar 1893 in Löβnitz, Sachsen, geboren. Er gehörte der Augsburgischen Konfession an. Im Jahr 1922 heiratete er Elisabeth Oelsner, hatte aber keine Kinder mit ihr.
Ab dem 23. November 1914 kämpfte Ehrlich an der Front beim Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 104, dann beim Infanterie-Regiment Nr. 438 und absolvierte seinen Militärdienst beim Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 274. Bei Kriegsende erlangte er den Rang eines Leutnants. Außerdem wurde er mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet.
Am 16. Dezember 1918 trat Ehrlich in die Kriminalpolizei ein. Er besuchte Vorlesungen über Recht und Kriminologie an der Universität Leipzig und absolvierte sein Praktikum am Institut für Rechtsmedizin. Er absolvierte einen Kurs an der Polizeischule in Düsseldorf und legte 1919 oder 1920 die Kommissarsprüfung ab. Im Jahr 1920 diente er in der Reichswehrbrigade 19.
Von 1920 bis 1937 war Ehrlich als Ermittlungsbeamter in Chemnitz tätig. Während der Märzkämpfe – der von den deutschen Kommunisten ausgelösten Unruhen im März 1921 – war er ein geheimer Nachrichtenoffizier.
Im Jahr 1937 wurde Ehrlich zur Kriminalabteilung der Reichspolizei in Berlin versetzt und trat am 1. Mai in die NSDAP ein (Ausweisnummer 5917550). Im Jahr 1939 wurde er zum Leiter der Kriminalpolizei in Chemnitz ernannt. Am 20. April 1939 trat er in die SS ein (Ausweisnummer 324979) – zunächst im Rang eines Obersturmführers, ab 10. September im Rang eines Hauptsturmführers und ab 1. November 1940 im Rang eines Sturmbannführers.
Im Oktober 1941 wurde er zum Regierungs- und Kriminalrat befördert und nach Litzmannstadt (Łódź) versetzt. Im Dezember 1941 übernahm er die Leitung der Kriminalpolizei. Er wohnte in der Ulrich-von-Hutten-Straße 22 (heute kpt. Franciszka Żwirki-Straße). Nach der Errichtung des Lagers in der Przemysłowa-Straße wurde er zum Lagerkommandanten ernannt, ein Posten, den er bis zum 18. Januar 1945 innehatte. Er verließ Łódź, bevor die Rote Armee in die Stadt einzog. Er meldete sich in Berlin an, dann in Karlsbad und kehrte schließlich nach Chemnitz zurück.
Am 29. Mai 1945 wurde Ehrlich in Chemnitz von einem Kommando des NKWD verhaftet. Er wurde in das NKWD-Speziallager Nr. 9 in Fünfeichen geschickt, das die Sowjets auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Stalag II A Neubrandenburg eingerichtet hatten. Er blieb dort bis September 1948. Anschließend wurde er in das Speziallager Nr. 2 in Buchenwald transportiert, wo er die Lagernummer 53972 erhielt.
Am 10. Februar 1950 wurde Ehrlich von der Volkspolizei der DDR in das Gefängnis Waldheim verlegt. Zwischen dem 21. April und dem 29. Juni 1950 erschienen 3.400 Personen, die der Kollaboration mit dem NS-Regime beschuldigt wurden, vor den besonderen Strafkammern des Landgerichts Waldheim. Eine dieser Personen war auch Ehrlich. In der Anklageschrift wurde ihm die aktive Beteiligung am nationalsozialistischen Terrorapparat vorgeworfen. Am 16. Mai 1950 verurteilte ihn das Gericht zu lebenslanger Haft, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und Verfall des Vermögens.
Zunächst verbüßte Ehrlich seine Strafe im Gefängnis Waldheim, wo er die Nummer 1884/50 erhielt. Vom 9. Juli 1950 bis zum 19. Februar 1952 war er im Gefängnis Brandenburg-Görden inhaftiert, wo er die Nummer 2094/Br erhielt. Anschließend kehrte er in das Gefängnis Waldheim zurück und erhielt die neue Nummer 7711/52. Ab dem 29. März 1954 war er in Bautzen eingesperrt.
Am 28. April 1956 wurde Ehrlich von der DDR ohne Angabe von Gründen freigelassen. Er reiste nach Westdeutschland aus, wo seine Verurteilung als unbegründet befunden wurde. Er bewarb sich um eine Stelle in der Kriminalabteilung der Polizei. Seine Kandidatur wurde jedoch abgelehnt, weil er in zwei Jahren das Rentenalter erreichen würde. Ab 1958 lebte er als Pensionär in München und veröffentlichte Texte zur Kriminaltechnik. Unter anderem schrieb er ein Handbuch für den Polizeidienst, das er zu folgendem Zweck entwickelte: (dem Kriminalbeamten neue Erfahrungen zu vermitteln (…) und die Polizei mehr noch als bisher in ihrer schweren Arbeit unterstützen kann und letzten Endes Eltern und Erziehern Material an die Hand zu geben, unseren Jugendlichen die Überzeugung zu vermitteln, daβ Verbrechen nicht lohnt!) Er begründete seine Arbeit mit der Sorge um das Wohlverhalten der deutschen Jugend: (Ich will unseren jungen Menschen zeigen, daβ die Verbrecher nur Ratten sind, Ratten, nichts als Ratten. Ich will klarlegen, daβ es sich in keiner Weise lohnt, den Verbrechern locken zu lassen. Hinab auf eine schiefe Ebene, auf der es meist kein Halten mehr gibt!)
Am 2. März 1973 wurde Ehrlich im Zusammenhang mit dem Verfahren der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Heinrich Fuge, den ersten Lagerleiter in der Przemysłowa-Straße, vernommen. Ehrlich gehörte zu den Angeklagten. Damals wohnte er in einem Senioren-Wohnheim in München.
Im Verhör leugnete Ehrlich seine Verbrechen. Er behauptete, er habe das Schlagen von Kindern verboten und nie Wachmänner mit Knuten oder Peitschen gesehen. Er erklärte, dass er den Kindern erlaubte, ihre Familien zu sehen, und dass er immer einen Arzt für die Kranken rief. Er bestritt, dass die Häftlinge massenhaft getötet wurden oder an Erschöpfung gestorben sind, und fragte unter anderem, wo die Leichen der Toten gefunden werden würden. Er unterschätzte die Zahl der Opfer drastisch und behauptete, dass nur drei kleine Häftlinge im Lager starben. Er argumentierte, dass Kinder nicht mit Arbeit überlastet werden könnten, weil die Arbeit knapp war und es nicht genug für alle gab. Außerdem hat er angeblich alle Häftlinge mit neuer Kleidung und Unterwäsche versorgt. Am Ende der Beweisaufnahme erklärte er, dass seine Verurteilung unmittelbar nach dem Krieg unbegründet war und ihn in die Gefahr brachte, seine Gesundheit zu verlieren.
Friedrich Camillo Ehrlich erlebte die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr – er starb am 6. Juni 1974 in München. Leider wurde er von der Justiz der Volksrepublik Polen nicht belangt. Auch nach der politischen Wende in Polen wurde der Fall Ehrlich vernachlässigt, z. B. vor weniger als einem Jahr war der deutsche Staatsanwalt Ulrich Seebaß noch am Leben, der den ehemaligen Lagerkommandanten in der Przemysłowa-Straße persönlich verhörte; er starb im Mai 2021.